Die Sicherheit auf Windkraftanlagen ist von größter Bedeutung, denn allein aufgrund ihrer beeindruckenden Höhe gehören sie zu den Arbeitsplätzen mit deutlich erhöhtem Gefährdungspotenzial für Servicetechniker und sonstige Mitarbeiter. Um Unfälle mit schweren Verletzungen oder gar tödlichem Ausgang bestmöglich zu vermeiden, sind entsprechende Sicherheitsmaßnahmen gesetzlich vorgeschrieben. Neben einer professionellen und zertifizierten Absturzsicherung zählt eine fundierte Schulung zu den wesentlichen Bestandteilen eines umfassenden Sicherheitskonzepts. Eine äußerst wichtige Komponente dabei sind Rettungstrainings.
RelyOn Nutec ist ein Unternehmen, das sich mit seinen Sicherheits- und Kompetenzdienstleistungen sowie seiner über 50-jährigen Erfahrung weltweit als einer der führenden Experten und Partner für sicherheitskritische Branchen wie etwa die Windkraft etabliert hat. Birk Schütte, Management Consultant for Industrial Safety von der RelyOn Nutec Germany GmbH, erläutert im Gespräch mit INNOTECH, worauf es bei den Rettungstrainings ankommt und wie wichtig professionelle Absturzsicherungen bereits im Rahmen der Trainings sind.
Die Rolle der Absturzsicherung für Trainingsprovider
INNOTECH: Herr Schütte. Welche Rolle spielt das Thema Absturzsicherungen für Sie als Trainingsprovider im Bereich Windkraft?
Birk Schütte: Absturzsicherungen sind für uns elementar wichtig. Wir bilden im Bereich der erneuerbaren Energien nach dem Standard der Global Wind Organisation (GWO) aus. Jede Person, die auf einer Offshore-Windkraftanlage arbeitet, muss mindestens ein Training aus sechs unterschiedlichen Bestandteilen absolvieren, wobei drei der sechs Bereiche ohne eine Absturzsicherung gar nicht beschult werden könnten. Die Teilnehmer lernen bei uns neben Inhalten aus den Bereichen Erste Hilfe, Brandbekämpfung sowie dem korrekten Heben und Tragen von Lasten, vor allem aber das Überleben auf See, wie der Transfer inkl. dem Überstieg auf die Windkraftanlage funktioniert und wie sie sich sicher in der Höhe bewegen können. Natürlich ist die Rettung einer Person aus einer Leiter ebenso Bestandteil dieser Ausbildung. Während des Kurses zum Arbeiten in der Höhe wird neben stationären Absturzsicherungssystemen, wie einem mitlaufendem Auffanggerät an einer Leiter, vor allem mit mobilen, temporären Absturzsicherungssystemen (Bandfalldämpfer) gearbeitet. Klarerweise sind die Teilnehmer zu jeder Zeit mit einer redudanten Sicherung gesichert.
Zusätzlich zu diesen grundlegenden Ausbildungen qualifizieren wir Windkrafttechniker im Bereich der industriellen Höhenrettung. Hier lernen die Teilnehmer weitergehende Rettungsverfahren aus den unterschiedlichen Bereichen einer Windkraftanlage, wie dem Transition Piece, dem Maschinenhaus, der Nabe oder dem Blatt. Die Schwierigkeit hierbei liegt darin, dass wir im Gegensatz zum Arbeiten in der Höhe keine Sekundärsicherungen fest verbauen können. Die Teilnehmer werden dementsprechend darauf geschult, natürliche und künstliche Ankerpunkte zu suchen und mit diesen ein temporäres und redundantes Absturzsicherungssystem aufzubauen.
Herausforderungen aus Sicht eines Experten
INNOTECH: Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen, wenn es um die Sicherung gegen Absturz bei Windkraftanlagen geht?
Birk Schütte: Oftmals sind an Windkraftanlagen die natürlichen Ankerpunkte zum Anschlagen einer temporären Sicherung sehr rar gesät. Windkrafttechniker sind dementsprechend gezwungen, sich künstliche Anschlagpunkte an den Stellen zu bauen, an denen sie arbeiten müssen. Je nachdem, an welcher Stelle einer Windkraftanlage man sich befindet, ist dies ein leichteres oder schwierigeres Unterfangen. Generell haben es Windkrafttechniker in einer Offshore-Umgebung leichter als Onshore, da die Windkraftanlagen auf dem Meer größer dimensioniert werden können. Gerade bei älteren Onshore-Windkraftanlagen ist es schon schwer, überhaupt an den Ort in der Anlage zu gelangen, zu dem man möchte. Diese Anlagen sind auch häufiger mit Hintergedanken an Effizienz und Materialeinsparung gebaut worden und weniger unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsergonomie.
Beschwerlicher Weg...
Auch auf modernen Windkraftanlagen ist daher der Weg von der Basis der Windkraftanlage nach oben ins Maschinenhaus immer noch beschwerlich. Während moderne Anlagen einen Lift aufweisen, muss der Techniker bei älteren Anlagen über eine Leiter nach oben klettern.
Hierbei ist er entweder über ein mitlaufendes Auffanggerät, also einem Seil- oder Schienensystem gesichert, oder er muss sich schlimmstenfalls mit einem Bandfalldämpfer nach wenigen Sprossen immer wieder neu sichern. Da die Türme der Windkraftanlagen konisch gebaut sind, sich also in der Höhe immer weiter verjüngen, müssen die Techniker mitunter auch mehrfach die Leiter und die jeweilige Absturzsicherung wechseln. Dies ist immer mit einem gewissen Risiko verbunden. Wünschenswert wäre eine Absturzsicherung, bei der man sich nur einmal einhängen und sich bis zu dem Punkt, zu dem man hinmöchte, nicht wieder ausbauen muss.
Was zählt wirklich
INNOTECH: Worauf kommt es bei einer Sicherung gegen Absturz Ihrer Meinung nach an und warum?
Birk Schütte: Am wichtigsten ist die Benutzerfreundlichkeit des Systems. Nur wenn eine Absturzsicherung intuitiv bedient werden kann und diese problemlos funktioniert, wird diese von der arbeitenden Person auch akzeptiert und benutzt. Für Menschen, völlig egal in welcher Industrie sie arbeiten, ist eine Absturzsicherung ein zusätzlicher Aufwand, der ihnen im Weg zu ihrem Ziel, nämlich der Absolvierung ihrer Arbeitsaufgabe, steht. Sofern der Aufwand, eine Absturzsicherung zu benutzen, größer ist als der Aufwand, die geplante Tätigkeit durchzuführen, wird die Absturzsicherung auch gerne weggelassen. Auch die Routine ist ein großer Feind. Je öfter ein System benutzt wird desto unaufmerksamer wird der Benutzer bei der Verwendung. Das System, beispielsweise ein Schienenläufer, muss also intuitiv korrekt eingebaut werden können und muss über ausreichende Sicherungsmechanismen verfügen, die gegen einen inkorrekten Einbau schützen. Als Hersteller eines solchen Absturzsicherungssystems sollte man sich grundlegend das schwächste Glied in der Kette im Auge behalten. Es ist zwingend notwendig, dass jede Person, unabhängig der jeweilig vorhandenen Erfahrung, das Absturzsicherungssystem sicher und korrekt bedienen kann.
INNOTECH: Wo gibt es in Bezug auf Absturzsicherungen Ihrer Meinung nach Verbesserungspotenziale und warum?
Birk Schütte: Oftmals sind Absturzsicherungskonzepte nur halb durchdacht. Die Systeme werden genutzt, um einen tödlichen Unfall im Zuge eines Absturzes von einer erhöhten Plattform zu verhindern. Dies tun Absturzsicherungssysteme auch vorzüglich. Was fehlt, ist oftmals der Plan, was nach dem Sturz passiert. Schon bei der Planung einer Absturzsicherung sollte man sich Gedanken darüber machen, wie eine Person nach einem Unfall gerettet werden kann. Stürzt diese beispielsweise in einer Leiter in das Seilsystem, so kann sie sich unter Umständen gar nicht mehr selbst befreien und gerät nach kurzer Zeit in den Bereich eines potenziell tödlichen Hängetraumas. Die rettende Person muss nun ein Rettungsgerät organisieren und mit Bandfalldämpfern zur verunfallten Person klettern, da das gesamte Seilsystem nun sturzbelastet und nicht mehr nutzbar ist. Dies ist je nach zu überwindender Höhe ein schwieriges und kräftezehrendes Unterfangen. Bei einem Schienensystem ist es schon etwas leichter, da nur ein einzelnes Schienenstück sturzbelastet ist und nicht mehr genutzt werden kann. Hier müssen also nur die letzten 6 bis 8 Meter mit einem Bandfalldämpfer gesichert und überwunden werden.
Es kommt bei der Rettung aber auch auf die vorhandene Leiter an. Ist beispielsweise eine sogenannte Hühnerleiter verbaut, kann sich die rettende Person nicht vernünftig sichern, da sich der einzige Sicherungspunkt in der Mitte der Leiter befindet und dort ja schon die verunfallte Person hängt. Eine Rettung wird nun schwierig bis unmöglich. Auch Leitern mit Fangkörben im Rücken sind in Bezug auf die Rettung einer gestürzten Person sehr spannend, da nicht gewährleistet werden kann, dass der Retter über denselben Weg zur verletzten Person gelangen und dann auch noch agieren kann. Eine moderne und professionelle Absturzsicherung zu haben ist auf jeden Fall der Weg in die richtige Richtung, es muss jedoch zwingend immer darüber nachgedacht werden, was passiert, wenn etwas passiert.
Challenge Absturzsicherung
INNOTECH: Welches sind für Sie als Trainingsprovider die größten Challenges bei der Wahl der optimal passenden Absturzsicherung?
Kombination der Sicherungssysteme - eine Challenge!
Birk Schütte: Das größte Problem ist die Vielzahl an unterschiedlichen Systemen auf dem Markt. Oft werden unsere Trainer gefragt, wie ein bestimmtes System zu benutzen ist, oder ob der Absturzsicherungsgurt X mit dem Läufersystem Y kombinierbar ist.
Allein in unserem Ausbildungscenter befinden sich dazu fast 20 Leitern mit diversen unterschiedlichen Läufersystemen. Hinzu kommen noch verschiedenste Höhensicherungsgeräte, Rettung- und Evakuierungsgeräte, Anschlagmittel, Gurtsysteme und vieles mehr. Unsere Trainer müssen über einen immensen Wissensschatz verfügen und sind gezwungen, dieses Wissen immer wieder zu erweitern und zu erneuern. Dies liegt aber auch daran, dass wir uns nicht ausschließlich auf Kunden aus der Windenergiebranche spezialisiert haben. Wir bilden generalisiert und industrieübergreifend aus. In unseren Klettergurten finden sich neben den Windkraftmonteuren also auch Industriekletterer, Fassadenreiniger, angehende Notfallsanitäter oder Lotsen wieder. Wir haben den Anspruch jedem Höhenarbeiter, egal aus welcher Branche die entsprechende Person kommt oder in welcher Erfahrungsstufe sie sich befindet, die bestmögliche Ausbildung zu bieten.
INNOTECH: Wie sieht bei Ihnen ein Tag in der Praxis aus?
Birk Schütte: Unsere Teilnehmenden werden morgens um 8:15 Uhr von den Trainern abgeholt. Je nachdem, ob es sich um einen Grundkurs oder eine Wiederholungsunterweisung handelt, werden sie entweder in einen Klassenraum oder direkt in den Praxisbereich geführt. Der Ausbildungstag endet für unsere Teilnehmer in der Regel um 16:00 Uhr. Dies ist zumindest die Regel. Da wir unsere Ausbildung 24/7 und standortunabhängig anbieten, kommt es auch häufig vor, dass kurzfristig gebuchte Kunden noch in den Abendstunden trainieren oder unsere Trainer sich direkt beim Kunden oder auch im Ausland auf einem Schiff befinden und dort die Schulung durchführen. Generell ist es unser Ziel, die maximale Flexibilität ohne Einbußen in der Qualität für unsere Kunden anzubieten. Bisher gelingt uns dies auch sehr gut.
INNOTECH: Was genau passiert beim Training für Servicetechniker an der Windkraftanlage bei Ihnen und wo liegen die Unterschiede zwischen Schulungen in Ihrem Center und solchen direkt beim Kunden?
Birk Schütte: Bevor ein Training außerhalb unseres Trainingscenters durchgeführt werden kann, müssen eine Gefährdungsermittlung und eine Risikoabschätzung durchgeführt werden. Beim Kunden vor Ort wissen wir nicht, wann die entsprechende Leiter oder der Anschlagpunkt zum letzten Mal geprüft wurde und ob hier Beschädigungen vorliegen, die in eine Gefährdung münden können. All diese potenziellen Gefahren müssen untersucht und ausgeklammert werden, damit die Schulung sicher durchgeführt werden kann. Hierauf sind unsere Trainer speziell geschult. Hiernach wird zusammen mit dem Kunden festgelegt, an welchen Stellen der jeweiligen Struktur die Ausbildung stattfindet. Ansonsten gleicht die Schulung vor Ort ziemlich dem Ablauf der Schulungen in unserem Center.
Darauf kommt es an
INNOTECH: Worauf kommt es Ihrer Meinung nach bei den Themen Erste Hilfe bzw. Rettungskonzept für Windkraftanlagen an und was sind hier die größten Fallstricke?
Birk Schütte: Oftmals werden Rettungskonzepte geschrieben oder überarbeitet und danach nicht erprobt. Ich habe schon Konzepte gelesen, bei denen eine verunfallte Person in einer Trage in die Luft gehievt werden musste, da es notwendig war, den Anschlagpunkt zu wechseln. Das Problem ist nur: Wo nichts ist, kann ich auch nichts hinhängen. Für jemanden, der wenig Ahnung oder Erfahrung im Bereich Rettung hat, klang das entsprechende Konzept wundervoll und professionell, in der Realität wäre nach diesem Konzept aber keine Rettung durchführbar gewesen. Es ist also elementar wichtig, dass ein geschriebenes Konzept nach der Erschaffung oder nach einer Überarbeitung erprobt wird. Nur so lässt sich gewährleisten, dass es auch durchführbar ist und eine verunfallte Person schlussendlich sicher gerettet werden kann.
INNOTECH: Woher kennen Sie INNOTECH und was halten Sie von uns im Allgemeinen und von unseren Sicherungslösungen im Speziellen?
Birk Schütte: Kennengelernt haben wir die INNOTECH auf einer lokalen Veranstaltung in Rostock, bei der es um den Ausbau der Windenergie in der Ostsee ging. Diesen Kontakt konnten wir dann auf der WindEnergy 2022 in Hamburg weiter ausbauen, sodass die Beziehung zwischen unseren beiden Unternehmen immer weitergewachsen ist und hoffentlich auch noch weiterwachsen wird. Wir sind sehr begeistert von den Lösungen, die INNOTECH im Repertoire hat. Gerade die TAURUS-Schienen, die eine Sicherung auch um Kurven herum ermöglichen, haben bei uns großes Interesse geweckt. Wir sind sehr gespannt, was wir in der Zukunft an Systemen kennenlernen, ausprobieren, testen und zusammen mit INNOTECH weiterentwickeln dürfen.
Wenn Sie mehr über die Absturzsicherungen und Sicherungssysteme für Windkraftanlagen wissen wollen, melden Sie sich am besten gleich jetzt bei uns oder, wenn Sie unseren Guide für Absturzsicherungen an und in der Windkraftanlage.