Was ist Seilzugangstechnik?
Die Seilzugangstechnik (kurz: SZT) ist ein anerkanntes Verfahren, um Arbeiten an schwer zugänglichen Stellen, etwa an Gebäudefassaden, zu ermöglichen. Bei uns auch als Industrieklettern oder Fassadenklettern bekannt, ist international die Bezeichnung „rope access“ gebräuchlich. Typische Einsatzbereiche für Höhenarbeiter sind etwa Inspektionen, Reparaturen und Reinigung an Windenergieanlagen, Fassaden, Türmen, Silos sowie Produktions- und Lagerhallen. An Fassaden eignet sich die Seilzugangstechnik sehr gut als Alternative zu Hubarbeitsbühnen oder Fassadengerüsten.
Die wichtigsten Vorteile der Seilzugangstechnik sind hierbei:
- schnelle und flexible Einsatzfähigkeit der Industriekletterer
- Kostenersparnis, da Miet- und Montagekosten für herkömmliche Zugangshilfsmittel entfallen
- keine Behinderungen und Einschränkungen für die Umgebung durch Baugerüste oder Hubsteiger
Während Absturzsicherungen primär als passive Sicherungssysteme konzipiert sind und ihre primäre Aufgabe darin besteht, einen Sturz abzufangen, steht das Seil bei der Seilzugangstechnik ständig unter Belastung und ist Teil der Tätigkeiten an der Fassade.
Systeme der Seilzugangstechnik
Das System der Seilzugangstechnik kann entweder als einzelne Anschlagpunkte oder als Schienensystem (z.B. TAURUS) ausgestaltet sein, abhängig von den Ansprüchen an
- Ästhetik
- situationsbedingten Gegebenheiten
- Zeitaufwand
- Fassadentyp
Technisch ist ein ökonomisches System von Wartung und Reparatur an exponierten Stellen oft nur über Seilzugangstechnik zu bewerkstelligen. Sicherheit und Ästhetik verschmelzen bei dieser Sicherungslösung optimal miteinander.
Rechtsgrundlagen zur Seilzugangstechnik an Fassaden
Die für die Europäische Union maßgebliche Rechtsgrundlage für die SZT basiert auf der Richtlinie 2009/104/EG. Für Höhenarbeiter und Industriekletterer bedeutsam sind außerdem die beiden ISO-Standards ISO 22846-1 (Rope Access Systems - Principles) und ISO 22846-2 (Rope Access Systems - Code of practice). Darin wird erstmals auf internationaler Ebene versucht, alle für Seilzugangstechniken notwendigen Ausrüstungen, Verfahren und Ausbildungen zu definieren.
Rechtsgrundlage in Österreich
In Österreich wurden die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie insbesondere in § 6 Abs 7f der Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) umgesetzt. Dieser besagt, dass die SZT nur durchgeführt werden darf, wenn:
die Ermittlung und Beurteilung der Gefahren ergeben hat, dass die Arbeit sicher durchgeführt werden kann und die Verwendung anderer Einrichtungen (…) nicht gerechtfertigt ist.
- eine geeignete persönliche Schutzausrüstung zur Sicherung der Arbeitnehmer verwendet wird.
- das Arbeitsseil muss ein selbstsicherndes System umfassen, das als Absturzsicherung fungiert.
- sorgfältige Planung und Überwachung sichergestellt wird, dass den Arbeitnehmern bei Bedarf unmittelbar Hilfe geleistet werden kann
- die Arbeitnehmer besonders geschult wurden, insbesondere im Hinblick auf Arbeits- und Rettungsverfahren.
Darüber hinaus sind insbesondere zur Ermittlung und Beurteilung der Gefahren sowie im Hinblick auf Dokumentationsvorschriften die Allgemeinen Vorschriften der § 4 und § 5 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes zu beachten. Für Arbeits- und Sicherungssysteme ist daneben noch die Verordnung (EU) 2016/425 („über persönliche Schutzausrüstungen und zur Aufhebung der Richtlinie 89/686/EWG des Rates“) einschlägig. Einen Überblick dazu gibt etwa das Arbeitsinspektorat des Bundesministeriums für Arbeit.
Rechtsgrundlage in Deutschland
In Deutschland wurde die Richtlinie 2009/104/EG in der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) umgesetzt. Diese regelt in Deutschland die Bereitstellung von Arbeitsmitteln durch den Arbeitgeber, die Benutzung von Arbeitsmitteln durch die Beschäftigten bei der Arbeit sowie die Errichtung und den Betrieb von überwachungsbedürftigen Anlagen im Sinne des Arbeitsschutzes. Sie besagt sinngemäß ebenfalls, dass die Seilzugangstechnik angewendet werden darf, „wenn die Gefährdungsermittlung ergibt, dass die betreffende Arbeit sicher durchgeführt werden kann“.
Ebenfalls beachtlich für die Zulassung der Seilzugangstechnik als Arbeitsmittel sind etwa die Technische Regeln für Betriebssicherheit (TRBS). Diese geben den Stand der Technik, der Arbeitsmedizin und Hygiene für die Bereitstellung und Benutzung von Arbeitsmitteln sowie den Betrieb überwachungsbedürftiger Anlagen zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung wieder. Sie werden vom Ausschuss für Betriebssicherheit erarbeitet und lösen sukzessive die in den bisherigen technischen Regeln vorhandenen Betriebsvorschriften wie TRA, TRB, TRR, TRD und TRAC vollständig ab.
Rechtsgrundlage in der Schweiz
In der Schweiz ist bezüglich der SZT insbesondere Artikel 28ff der Verordnung über die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Bauarbeiten (BauAV) sowie insbesondere Artikel 5, 8 und 32a der Verordnung über die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten (VUV), anzuwenden
Lesen Sie weiter: Mehr zu den Rechtsgrundlagen, Haftung und Normen von Absturzsicherung in der Industrie finden Sie in unserem Übersichtsartikel.
Vorteile der Seilzugangstechnik
Die Seilzugangstechnik weist im Gegensatz zu anderen Zugangstechniken zahlreiche Vorteile auf:
- Optimale Erreichbarkeit
Mittels Seilzugangstechnik können auch Fassadenteile erreicht werden, die mit herkömmlichen Mitteln nur schwer oder gar nicht gewartet oder repariert werden können.
- Kostengünstige Alternative
Vor allem, wenn die Seilzugangstechnik bereits bei der Gebäudeplanung mitberücksichtigt wurde, stellt sie eine preisgünstige Variante im Vergleich mit Kränen, Hebebühnen oder Gerüsten dar.
- Wahrung der Optik
Die Seilzugangstechnik lässt sich weitgehend unsichtbar in die Ästhetik einer Fassade integrieren. Es stehen zahlreiche Komponenten zur Verfügung, die für alle Fassaden-Typen optimale Ergebnisse gewährleisten.
- Sicheres Verfahren
Unter Einhaltung der einschlägigen Normen stellt die Seilzugangstechnik ein sehr sicheres Verfahren dar. Die Ausübung ist an eine Ausbildung zum zertifizierten Höhenarbeiter gebunden, verbindliche Rettungskonzepte legen Standards für den Unglücksfall fest.
- Flexible und kurzfristige Einsatzfähigkeit
Ein dauerhaft angebrachtes Sicherungssystem ermöglicht flexible Einsatzplanung, unabhängig von Gerätschaften wie Hebebühnen oder Kränen.
- Höchste Qualität
Der INNOTECH Planungsservice bietet flexible individuelle Lösungen für Ihre Sicherungssysteme durch hochwertige Materialien und höchste Qualität.
Die Seilzugangstechnik weist in vielen Bereichen unschlagbare Vorteile gegenüber anderen Fassaden-Zugangssystemen auf. Dabei sticht insbesondere der flexible und kurzfristige Einsatz ohne zusätzliche Gerätschaften heraus. Sicherheit und Kostenersparnis sind weitere Pluspunkte.
Für welche Fassadentypen ist Seilzugangstechnik geeignet?
Die Seilzugangstechnik ist für die überwiegende Anzahl aller modernen Fassadentypen geeignet:
- Glasfassade
Unauffällige Befestigungselemente vermitteln den Eindruck einer mehr oder weniger ebenmäßigen Glasfläche. Durch das flexible Zugangsverfahren kann sich der Anwender horizontal, vertikal oder diagonal über die Fassade bewegen.
- Dynamische Fassade / intelligente Fassade
Dynamische oder intelligente Fassaden erzeugen etwa mit Hilfe von Modulen an jenen Stellen der Fassade Schatten, wo die Sonneneinstrahlung besonders stark ist oder erzeugen Strom mit speziellen Photovoltaik-Modulen.
- Begrünte Fassade
Konzepte des urban farming, vertical farming, aber auch als Fassadenbegrünung mit Klimaeffekten: Pflanzen geben Feuchtigkeit an die Umgebung ab, sorgen damit für Kühlungseffekte und filtern die Luft. Zusätzlich reduzieren sie messbar die Einwirkungen von Lärm, Hitze und Kälte. Es muss ausreichend Platz zwischen Seilzugangstechnik und Fassade vorgesehen werden. Gewährleistet wird dies durch die Verwendung von STA-10 Stützen.
- Doppelfassade
Ein wärmedämmender Abschluss zum Innenbereich und darüber eine zweite Fassade zum Schutz vor Umwelteinflüssen. Die dazwischen befindliche Luft wird durch die Sonneneinstrahlung erwärmt und wirkt als Wärmepuffer. Reinigung und Wartung der Außenfassade kann mittels Seilzugangstechnik erfolgen.
- Elementfassade
Vorgefertigte Elemente aus Stahl, Aluminium oder Glas werden zu kolossalen Fassaden verbunden. Die Seilzugangstechnik muss bereits am Beginn mit eingeplant werden, da nachträgliche Änderungen bei diesem Fassadentyp oft nicht mehr möglich sind.
Gerade bei modernen Fassadentypen sollte bereits im frühen Stadium der Planung der sichere und ökonomische Fassadenzugang thematisiert werden. Ein nachträglicher Einbau ist häufig mit hohem Aufwand verbunden.
Planung & Umsetzung der Seilzugangstechnik
Die professionelle Planung und Umsetzung ist unabdingbare Voraussetzung für erfolgreiche Seilzugangstechnik: Zum einen hilft es, Zeit und Kosten zu sparen, zum anderen ist im Sinne des Arbeitnehmerschutzes damit die Gewähr für maximale Sicherheit gegeben.
Herausforderungen bei der Planung
- Befestigung: Das Sicherungssystem muss zugänglich sein, damit es leicht austauschbar bleibt, etwa nach einem Sturz ins Seil. Ebenso mitberücksichtigt werden sollten die Umwelteinflüsse am Einsatzort. Sie können die Lebensdauer der Elemente erheblich beeinflussen.
- Austauschreparaturen: Um jederzeit maximale Sicherheit zu bieten, müssen die Sicherungselemente gelegentlich ausgetauscht werden. Vorausschauende Planung gewährleistet, dass dieser Austausch schnell und kostengünstig durchgeführt werden kann.
- Montage: Nachhaltige Planung vermeidet zusätzlichen Aufwand wie etwa teure Unterkonstruktionen.
- Systemintegration: Optimierte Arbeitswege weisen möglichst wenige Umstiegspunkte auf. Diese stellen für den Kletterer potentielle Fehler- und damit Gefahrenquellen dar.
Fehler bei der Planung von Seilzugangstechnik
- Unzugängliche Anbringung der Befestigungsmittel
Führt dazu, dass Reparatur- oder Wartungsarbeiten am System nur unter erschwerten Bedingungen durchgeführt werden können.
- Unzulängliche Dokumentation
Generell besteht eine Dokumentationspflicht für Sicherungssysteme gegen Absturz. Ist diese Dokumentation nicht vollständig, so hat eine Neudokumentation zu erfolgen. Kann diese nicht nachgereicht werden, so ist das gesamte Sicherungssystem zu ersetzen und neu zu dokumentieren! Nerven sparen kann man übrigens mit INNO|doc, der Dokumentationssoftware von Innotech.
- Zweckentfremdung der Systeme
Sicherungssysteme dürfen nur zu ihrem intendierten Zweck genutzt werden. Eine zweckwidrige Verwendung der Seilzugangstechnik, etwa zum Materialtransport, ist nicht erlaubt.
Unsichtbar, aber sicher: 7 Tipps für Sicherungssysteme an Fassaden
Frühzeitige Zusammenarbeit mit Experten wirkt sich günstig auf Kosten, Planbarkeit und langfristige Sicherheit für die Anwender aus. Klare und genaue Anforderungen bereits in der Planungsphase ermöglichen eine optimierte Umsetzung der Seilzugangstechnik.
- Ästhetik, Sicherheit, Kosteneffizienz
Oberste Priorität sollte stets die Sicherheit haben. Moderne Seilzugangstechnik erfüllt alle drei Dimensionen: Rechtzeitige Planung der Seilzugangstechnik und die frühzeitige Einbindung von Experten sorgen für das beste Ergebnis.
- Genügend Zeit bei der Auswahl einplanen
Fassadentyp und Gebäudestruktur sind entscheidend für die Auswahl der optimalen Seilzugangstechnik. Die Auswahl sowohl funktionaler als auch ästhetischer und sicherer Lösungen braucht Zeit. Diese gilt es, in der Planung mit zu berücksichtigen.
- Frühe Planung lohnt sich
Der nachträgliche Einbau einer Seilzugangstechnik an Fassaden ist mit erheblich höherem Aufwand verbunden. Fassadenreinigung und –wartung kann bei bereits bestehenden Systemen jederzeit und kurzfristig durchgeführt werden.
- Sicherung von Zustiegen nicht vergessen
Auch jene Punkte, die den Einstieg auf die Fassade ermöglichen, müssen mit geeigneten Mitteln gesichert werden. Hier bieten sich etwa EAP-Lock oder temporäre Sicherungen an.
- Niemals ohne ausgearbeitetes Sicherheitskonzept
Zur Vermeidung aller Arten der Scheinsicherheit ist ein ausgearbeitetes Sicherheitskonzept unbedingt notwendig. Dieses besteht aus aufeinander abgestimmten Schutzmaßnahmen, die systematisch geplant und umgesetzt werden müssen. Die Beiziehung erfahrener Sicherheitsexperten mit viel Praxiserfahrung kann dabei helfen, Fehler zu vermeiden.
- Flexibel bleiben
Auch die Seilzugangstechnik will gewartet sein: Neben jährlichen Prüfkontrollen sind es vor allem Beschädigungen durch Stürze ins Seil, die rasch repariert werden müssen. Flexible Systeme haben den Vorteil, dass nur einzelne Module getauscht werden können ohne die Integrität des Gesamtsystems zu gefährden. Schienensysteme, die an die jeweiligen Gegebenheiten der Fassade perfekt angepasst werden können, bieten diese Flexibilität. Sie können vor Ort an die Gebäudehülle angepasst werden und entsprechen allen ästhetischen, funktionalen und sicherheitsrelevanten Vorgaben.
- Regelmäßige Wartung
Vergessen Sie nicht, das System regelmäßig zu warten und zu kontrollieren!
Scheinsicherheit an Fassaden vermeiden
Scheinsicherheit gilt als eine ebenso reale wie vermeidbare Gefahr im Zusammenhang mit Seilzugangstechnik. Die Risiken liegen in der potenziellen Gefahr schwerer oder gar tödlicher Verletzungen der Mitarbeiter sowie in den wirtschaftlichen Folgen für die Verantwortlichen. Ein nachhaltiges Sicherheitskonzept trägt dazu bei, diese Risiken zu minimieren.
Wie entsteht Scheinsicherheit?
Sicherheitsexperten sprechen von sogenannter Scheinsicherheit, wenn Sicherheitsvorkehrungen vorhanden sind, aber nicht ihre volle Wirksamkeit erreichen können. Etwa, weil nicht die richtigen Vorkehrungen getroffen wurden oder nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen. Neben dem Vorhandensein der geeigneten physischen Sicherungsmittel wie Seilen, Befestigungen, Absperrungen etc. müssen diese auch richtig eingesetzt werden und ein organisatorischer Rettungsplan vorhanden sein, um im Bedarfsfall die notwendigen Rettungsmaßnahmen ohne Verzögerung einleiten zu können.
Gefahren der Scheinsicherheit
- Verletzungen oder Tod eines Mitarbeiters durch Absturz
- Hohe Kosten durch Personal-Ausfall, Maschinenstillstand, erhöhte Versicherungsprämien, Schadenersatz, …
- Rechtliche Konsequenzen für verantwortliche Personen (Sicherheitsexperte, Geschäftsführer)
- Imageverlust
- Existenzbedrohende wirtschaftliche Risiken
Vermeidung von Sicherheitsrisiken
Die Gefahren im Zusammenhang mit Tätigkeiten wie dem Arbeiten in oder an Fassaden lassen sich wohl niemals zu hundert Prozent ausschließen. Dennoch kann man durch geeignetes Sicherheitsmanagement das Risiko dramatisch reduzieren. Und haftungsrechtlich macht es einen gravierenden Unterschied, ob ein Unfall auf Fahrlässigkeit zurückzuführen ist oder nicht. Folgende sicherheitsrelevante Schritte sind für alle Sicherungssysteme ratsam, ganz gleich ob an Fassaden, am Dach, in der Industrie oder in anderen Gefahrensituationen, wo Höhe eine entscheidende Rolle spielt.
- Untergrundprüfung
Vor der Montage muss der Untergrund geprüft werden, damit die geeigneten Sicherungsprodukte und Befestigungsmaterialien verwendet werden.
- Planung
Die korrekte Planung der Seilzugangstechnik sollte in enger Abstimmung zwischen den Fachpersonen (etwa Sicherheitsexperte, Statiker, Architekt) erfolgen.
- Montage
Sorgfalt bei der Montage durch geeignete Monteure unter Beachtung der jeweiligen Montageanleitungen und Normen reduzieren die Gefahr von Montagefehlern.
- Dokumentation
Eine lückenlose Dokumentation der Sicherungseinrichtungen (auch durch Fotos) ist die Voraussetzung für die regelmäßigen Sicherheitsüberprüfungen wie auch Beweismittel im Fall eines Absturzes.
- PSA gegen Absturz
Die Persönliche Schutzausrüstung (PSA) muss sowohl für den jeweiligen Nutzer als auch den Einsatzbereich (Art und Tätigkeit sowie Einsatzort) angepasst und geeignet sein. Industriekletterer müssen überdies an PSAgA-Schulungen teilnehmen.
- Rettungsmaßnahmen
Geeignete Rettungsmaßnahmen und Rettungssysteme sind vorzusehen, um im Fall eines Absturzes rasch und effektiv Hilfe leisten zu können. Hintergrundwissen finden Anwender beispielsweise in Tutorials bei MARK Safe a Life.
Seilzugangstechnik im Praxisalltag
Seilzugangstechnik oder kurz SZT ist ein seilunterstütztes Zugangsverfahren für Montage-, Reinigungs- und Wartungsarbeiten an Fassaden. Zertifizierte Industriekletterer können sich damit im System verhältnismäßig flexibel und agil bewegen. Folgender Ablauf gilt für den Einsatz der Seilzugangstechnik an Fassaden:
- Qualifikation: Mitarbeiter müssen eine erfolgreich absolvierte Schulung für Seilzugangs- und Positionierungstechnik nachweisen
- Vorbereitung
- Im Vorfeld ist eine Gefährdungsbeurteilung der aktuellen Situation durchzuführen.
- Auch das Rettungskonzept hat sich an den vorgefundenen Umständen (Baufortschritt, Umgebung, …) zu orientieren.
- Die Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) ist auf Eignung und Einsatzbereitschaft zu überprüfen.
- Rettungsmittel sind vorzubereiten und während des Einsatzes bereitzuhalten.
- Witterungsverhältnisse sind zu überprüfen und im Hinblick auf die unterschiedlichen Fassadentypen zu berücksichtigen.
- Einhaltung der Regeln vor, bei und nach dem Klettereinsatz
- Nachbesprechung und Analyse
Eine präzise Dokumentation kann etwa durch das digitale INNO|doc Dokumentationstool gewährleistet werden.
Verfahren der Seilzugangstechnik
Ein Grundsatz der Seilzugangstechnik ist die „permanente Redundanz“ – das heißt es muss in jeder Lage eine doppelte Sicherung, etwa in Form von Trag- und Sicherungsseil, gegeben sein. Außerdem muss im Bedarfsfall jederzeit eine Rettung erfolgen können. Abhängig von der Art der Aufgabe und den Gegebenheiten der Fassade kommen unterschiedliche Seilzugangstechniken zur Anwendung. Grundsätzlich unterscheidet man drei Verfahren:
- Vertikale Zugangsverfahren
Unter vertikaler Seilzugangstechnik versteht man Auf- und Abstieg im vertikal hängenden Seil. Der Anwender befindet sich dabei in einem Sitzbrett, für Auf- und Abstieg kommen verschiedene Techniken zur Anwendung.
- Horizontale Zugangsverfahren
Fortbewegung in horizontaler Richtung durch abwechselndes Be- und Entlasten eines Verbindungsmittels (etwa Trittschlingen)
- Seilwechselverfahren
Komplexes Verfahren, das unter anderem bei der Rettung verunfallter Personen zum Einsatz kommt.
Verwendung und Ausbildung in der Seilzugangstechnik
Jedes Land regelt die Verwendung und Ausbildung der Seilzugangstechnik individuell:
Seilzugangstechnik in Deutschland
Das allgemeine Schutzziel beim Einsatz von seilunterstützten Zugangsverfahren ist in Deutschland in Anhang 2 der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) geregelt, konkretisiert durch die Technischen Regeln für Betriebssicherheit2121 Teil 3 (TRBS 2121-3). Gemäß der TRBS 2121-3 wird für die Anwendung von Seilzugangs- und Positionierungstechniken eine besondere fachliche Eignung vorausgesetzt. Der Nachweis dieser Eignung kann durch ein Zertifikat "Höhenarbeiter Level 1", "Höhenarbeiter Level 2" oder "Aufsichtführender Höhenarbeiter, Level 3" erfolgen. Kurse für Höhenarbeiter Level 1 bis 3 gemäß FISAT-Standards werden in Ausbildungsunternehmen angeboten, die eigenverantwortlich tätig und vom Verband wirtschaftlich unabhängig sind. Der Gesetzgeber fordert eine jährliche Unterweisung, daher sind FISAT-Ausweise immer nur ein Jahr gültig. Durch die erfolgreiche Teilnahme an einer Wiederholungsunterweisung wird der Ausweis um ein Jahr verlängert.
Der FISAT-Level (Fach- und Interessenverband für seilunterstützte Arbeitstechnik e.V.) gibt an, in welche Richtungen Kletterer sich aufgrund ihres Ausbildungsniveaus fortbewegen dürfen:
- Level 1 Höhenarbeiter/-innen sind Anwender/-innen mit Grundkenntnissen und ausgebildet in vertikalen Zugangsverfahren sowie Arbeitsplatzpositionierung.
- Level 2 Höhenarbeiter/-innen sind Anwender/-innen mit erweiterten Kenntnissen, ausgebildet in vertikalen und horizontalen Zugangsverfahren sowie Arbeitsplatzpositionierung. Die Kenntnisse und Fertigkeiten Level 2 bauen auf den Grundkenntnissen aus Level 1 auf.
- Level 3 Aufsichtführende Höhenarbeiter/-innen sind Anwender/-innen, die für die arbeitssichere Durchführung auf einer Höhenbaustelle verantwortlich sind. Sie sind ausgebildet in erweiterten vertikalen, horizontalen und diagonalen Zugangs- und Positionierungsverfahren. Die Kenntnisse und Fertigkeiten Level 3 bauen auf den Grundkenntnissen aus Level 1 und den erweiterten Kenntnissen aus Level 2 auf.
Seilzugangstechnik in Österreich
Für die Ausübung einer Seilzugangs- und Positionierungstechnik an Fassaden hat eine Ausbildung (z. B. FISAT, IRATA) zum zertifizierten Höhenarbeiter zu erfolgen. Sie bildet zugleich die Basis für das Arbeiten mit der SZT. Ist ein System zur Seilzugangstechnik an einer Fassade umgesetzt, darf sie nur von zertifizierten, sachkundigen Personen verwendet werden. Diese müssen folgende Voraussetzungen erbringen:
- Medizinische Eignung gemäß G41 Arbeitsmedizinische Untersuchung
- Betrieblich veranlasster Erste-Hilfe-Kurs von mind. 1 Tag
- Mindestalter 18 Jahre
- Ausbildung, etwa FISAT Level 1-3, IRATA International, FSBS
- Regelmäßige Schulungen: Sachkundigenschulungen des Herstellers und PSAgA-Schulungen wie DGUV G 312-906 (Sachkundeschulung zur Prüfung des Materials), DGUV R 112-198 (PSAgA Anwenderschulung) und DGUV R 112-199 (Rettungsschulung)
Laut PSA-V (Verordnung Persönliche Schutzausrüstung) ist eine jährliche Unterweisung über die persönliche Schutzausrüstung vorgesehen. § 6 Abs 8 Z 7 BauV verlangt überdies, dass „die betreffenden Arbeitnehmer in den vorgesehenen Arbeitsverfahren, insbesondere in Bezug auf die Rettungsverfahren, besonders zu unterweisen“ sind. Diese besonderen Unterweisungen können etwa durch eine von der IRATA zertifizierte Ausbildung nachgewiesen werden. IRATA steht für die International Industrial Rope Access Trade Association. Sie ist bisher die einzige weltweit agierende Vereinigung im Bereich der zertifizierten Höhenarbeit. Die von IRATA zertifizierten Ausbildungen zum Industriekletterer erfahren weltweit eine hohe Anerkennung und in vielen Arbeitsbereichen kann man ohne IRATA Zertifikat keine Arbeiten mittels Seilzugangstechnik anbieten.
Rettungssysteme, um Leben zu sichern
Jährlich passieren in Österreich laut Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) rund 15.000 Unfälle mit 17 Toten, bei denen die Ursache ein Sturz oder Absturz ist. Diese Zahl könnte mit entsprechenden Planungs-, Ausrüstungs- und Schulungskonzepten wesentlich verringert werden. Nur wenn sich alle Beteiligten der Gefahrensituation bewusst sind und Sicherungs- sowie Rettungsmaßnahmen kompetent durchführen können, können Unfälle und Personenschäden vermieden werden. Dies erfordert jedoch viel Übung und ein ganzheitliches Rettungskonzept. Innotech bietet zum Thema Personenrettung bei Absturz eine Rescue Schulung an, damit Industriekletterer im Notfall rasch und kompetent helfen können.
Bei einem Unfall müssen die Rettungsmaßnahmen unverzüglich und professionell eingeleitet werden, Verzögerungen oder gar Planlosigkeit können fatale Folgen haben. Rettungskonzepte müssen im Vorfeld detailliert ausgearbeitet sein, die entsprechenden Rettungsmittel müssen bereitstehen und die Mitarbeiter müssen entsprechend geschult sein, um auch unter den erschwerten Bedingungen eines Ernstfalls das Rettungskonzept richtig umzusetzen. Eine grob skizzierte Abfolge eines Rettungskonzepts könnte etwa so aussehen:
- Erkennen der Situation und Einstellung der Arbeiten.
- Kontakt mit der verunfallten Person herstellen, Überblick über die Situation verschaffen.
- Notruf absetzen unter Hinweis auf ein mögliches lebensbedrohliches Hängetrauma. Bei weit entfernten Anlagen (z.B. Windkraftanlagen) Bekanntgabe der Geodaten.
- Rettungsmaßnahmen unverzüglich einleiten, die Person aus der Situation befreien, um ein Hängetrauma zu vermeiden.
- Die verunfallte Person in eine sichere Lage bringen, Erste-Hilfe-Maßnahmen einleiten, gegebenenfalls das Rettungspersonal einweisen.
- Übergabe der verunfallten Person an den Rettungsdienst unter Bekanntgabe aller relevanten Informationen.
- Reparatur und Wartung des Sicherungssystems
- Überprüfung der Absturzsicherung durch eine zertifizierte sachkundige Person
- Überprüfung des Sicherungssystems und Ersatz sämtlicher belasteter und verformter Bauteile.
- Kompletter Austausch von Gleiter und PSAgA (Gurte, Seile, etc.)
Fazit: Seilzugangstechnik an Fassaden
Die Seilzugangstechnik an Fassaden ist zwar prinzipiell nichts Neues, doch sie entwickelt erst seit Kurzem ihr ganzes Potential als zugelassenes Arbeitsmittel. Dank ihrer ästhetisch schönen Systeme, die sich bei früher Planung optimal an die Gebäudeeigenschaften anpassen lassen, setzen immer mehr Architekten und Bauherren auf die beinahe unsichtbaren Sicherungssysteme.
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